Der Code der Anderen

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschien vor Kurzem ein bemerkenswerter Gastbeitrag. Marianne Janik, die Deutschland-Chefin von Microsoft singt darin ein Loblied auf den Open Source Code. Janik preist den überragenden Mehrwert von weltweiter Kollaboration, die sich in offenem Quellcode zeigt. Mit dem Beispiel des Mars-Helikopter Ingenuity, dessen Programme durch die Mithilfe tausender ehrenamtlicher Entwickler weltweit entstanden sind, macht sie deutlich, dass das Open Source Prinzip der Menschheit helfen kann buchstäblich in neue Welten abzuheben.

Janik argumentiert, dass der häufig beschworene Gegensatz von proprietärer, also geschützter, und offener Software nicht mehr gilt, da bereits jetzt über 90% aller Software-Anwendungen offenen Code beinhalten. Die Microsoft-Chefin stellt auch klar, wie sehr sie sich darüber freut, dass ihr Unternehmen jetzt Mitarbeitende dazu ermuntert ihre Arbeit als freien Code zu veröffentlichen.

Die Microsoft-Chefin nimmt auch – beinah im Vorbeigehen – die immensen Potentiale von Open Source Software für die Zukunft der deutschen Wirtschaft in den Blick. Janiks Artikel ist eine Einladung an alle Unternehmen, Microsoft als unausweichlichen Partner bei der von ihr beschriebenen, durch Open Source ausgelösten, technologischen Revolution auszuwählen. Als Partner, der der deutschen Industrie helfen wird, endlich die digitale Aufholjagd zu starten und endlose neue Wachstumsmärkte zu erschließen.

Denn am Ende geht es natürlich in dem Beitrag nicht um Open Source Code, sondern ums Geldverdienen. Aber nicht diese Erkenntnis ist es, was diesen Vorstoß der Microsoft-Chefin so bemerkenswert macht. Es ist eher die bewundernswert dreiste Selbstverständlichkeit, mit der hier die elegante 180 Grad-Kehrtwende des bisherigen Microsoft-Geschäftsmodells als intellektuelle Werbebotschaft vorgetragen wird. Janiks Mitteilung: bisher haben wir proprietäre Software produziert und verkauft, jetzt verkaufen wir euch nur noch unseren Service und zeigen euch, wie ihr das Vorhandensein der vielen freien Software so ausnutzt, dass ihr damit irre Gewinne machen könnt.

Dass es Microsoft wirklich ernst ist mit seinem Vorstoß, zeigt der Kauf von GitHub, der weltweit größten Plattform für Open Source Code. Hier stellen Millionen von Profi- und Amateur-Entwickelnde ihre Ideen und Projekte online. Microsoft hat sich durch den Kauf den exklusiven Zugriff und die Kontrolle dieser Plattform gesichert. Die wachsende Bedeutung von Open Source Software hätte der Untergang des Unternehmens Microsoft sein können. Jetzt kann ihm genau dies eine goldene Zukunft bescheren.

Ein faszinierender Schachzug. Vor allem weil der Blick in die IT-Geschichte zeigt, dass es Microsoft war, das das Prinzip der proprietären Software erfunden hat. Damals – Anfang der 1980er – brachte der IT-Riese IBM eher widerwillig einen PC heraus. Allerdings betrachtete IBM den Programmcode nicht als Geschäftsgeheimnis, sondern veröffentlichte ihn im Handbuch des PCs. Bill Gates trat daraufhin auf IBM zu, weil er sah, dass IBM, obwohl sie ja einen Computer für Privathaushalte herausbrachten, nicht verstanden hatte, dass der Markt für private PCs weitaus größer war als der für Firmen. Dieses Unwissen nutzte Gates aus. Er machte IBM klar, dass ihr PC ein Betriebssystem benötigte. IBM hatte kein eigenes, da sie sich für ihren ersten PC ausschließlich auf die Komponenten anderer verlassen hatten. Gates beauftragte also Tim Patterson mit der Entwicklung eines Systems, das sie Welt verändern sollte: MS Dos. Mit diesem Produkt machte Gates dann seinen legendären Deal mit IBM: er ließ sich vertraglich zusichern, dass er das Programm auch an jeden andern verkaufen könnte, der es haben wollte. IBM kaufte das Programm damit nicht, sondern erwarb nur eine Nutzungslizenz. Damit war die proprietäre Software geboren.

Ob der Deal mit GitHub und die radikale Geschäftsfeld-Wende hin zu Open Source für die Zukunft von Microsoft und die der IT-Industrie insgesamt ähnlich weitreichende Folgen haben wird, ist noch unklar. Es wird auch davon abhängen, ob Unternehmen in der Lage sind aus der Geschichte zu lernen und eine gesunde Grundskepsis walten zu lassen, wenn Microsoft die Hand zum Deal reicht.

Der Artikel der FAZ zum Nachlesen: https://www.faz.net/aktuell/zukunft-der-software-deutschlands-weg-fuehrt-ueber-open-source-17432607.html?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE

Bildquelle: Marianne Janik CC BY-ND 2.0

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