Im Vorfeld der Bundestagswahl wendeten sich zahlreiche Verbände, Gewerkschaften und andere Organisationen mit Forderungen nach einer grundlegenden Änderung der Digitalpolitik an die Öffentlichkeit. Sie alle eint die Überzeugung, dass die bisherige Gestaltung der Digitalisierung in vielen Bereichen unzureichend ist. Dies betrifft Fragen der Verwaltungsdigitalisierung, der Industrie- und der Energiepolitik oder den Gesundheitssektor. Auch der Kulturbereich wurde in den Blick genommen. Bereits im Juni dieses Jahres veröffentlichte der Deutsche Städtetag das Diskussionspapier „Digitale Transformation in der Kultur – Herausforderung für die kommunale Kulturpolitik“.
Als Reaktion auf den beschleunigten digitalen Wandel vieler Kultureinrichtungen im Zuge der Corona-Pandemie hält der Städtetag Änderungen der kommunalen Kulturpolitik für nötig und macht drei konkrete Vorschläge. Zum einen soll Digitalisierung von Kultureinrichtungen künftig gezielt für mehr Reichweite ihrer Angebote und die Gewinnung neuer Zielgruppen genutzt werden. Zum anderen setzt sich der Städtetag dafür ein, dass ein „Datenraum Kultur“ als offene Plattform entsteht. Und schließlich sollen Kultureinrichtungen Digitalstrategien entwickeln. Diese Digitalstrategien sollen sich nach Ansicht des Städtetags auch damit beschäftigen, welche Rolle Kunst und Kultur bei einer kritischen Auseinandersetzung mit den Folgen der Digitalisierung einnehmen. Besonders im Fokus ist dabei die Frage, wie große privatwirtschaftliche Digitalkonzerne auf Kunst und Kultur einwirken und diese beeinflussen.
Ein Beispiel dafür, wie eine solche kritische Auseinandersetzung aussehen kann, ist die vielbeachtete Aktion „Made to Measure“ der Berliner Künstlergruppe Laokoon. Vor allem über den zu dem Projekt gehörigen gleichnamige Dokumentarfilm von WDR und dem SRG SSR erreichte das Projekt vor Kurzem ein Millionenpublikum. Für „Made to Measure“ hatte das Laokoon-Trio nur anhand von Google-Suchergebnissen eine Doppelgängeridentität einer realen Person erschaffen, die ihnen dafür die Internet-Datenspuren mehrerer Jahre überlassen hatte. Was eine Schauspielerin dann aus diesen Spuren herauslesen und performen konnte, kam der realen Person extrem nah. Das Projekt wurde gefördert im Rahmen des 18 Mio.€ schweren Fond Digital der Kulturstiftung des Bundes.
Projekte wie „Made to Measure“ zeigen, dass die grundlegenden Eigenschaften von Kunst und Kultur – nämlich Fragen aufzuwerfen, Probleme anzusprechen und neue Zugänge zu den Themen zu bieten, die unsere Gesellschaft bewegen – auch bei der Gestaltung des digitalen Wandels wertvolle Perspektiven bieten. Die Stimme der Kultur in der Digitalpolitik stärker als bisher einzubeziehen, scheint daher logisch.
Der Appell des Deutschen Städtetags enthält daher wichtige Botschaften und Aufträge an die Kommunen. Worauf der Städtetag in seiner Veröffentlichung allerdings nicht eingeht, ist die Frage danach, wie Kulturpolitik mit technischen Phänomenen wir künstlicher Intelligenz, Augmented Reality, oder NFTs (Non fungible Tokens) umgehen sollte. Diese und andere Technologien verändern aktuell die Kunst- und Kulturrezeption als auch die Kunstproduktion grundlegend, unter anderen, indem sie ganz neue ästhetische Ausdruckformen schaffen.
Link zum Diskussionspapier des Städtetags: https://www.staedtetag.de/positionen/positionspapiere/2021/digitale-transformation-kultur-diskussionspapier
Link zum Made to Measure-Projekt: https://www.madetomeasure.online/de/