
Bild: stadtLABOR Soest

Vortrag von Marcus John Henry Brown: „Happy!“ – Bild: stadtLABOR Soest

Vortrag von Roland Meyer: „Generative KI und die Ästhetik des digitalen Faschismus“ – Bild: stadtLABOR Soest

Vortrag von Jill MacArdle und Kilian Vieth-Ditlmann: „AI’s insatiable appetite“ – Bild: stadtLABOR Soest

Vortrag von Dr. Maximilian Oehl: „Der digitale Kampf um die politische Mitte“ – Bild: stadtLABOR Soest

Vortrag von Fabian Grischkat: „Sagen, was nicht ist“ – Bild: stadtLABOR Soest
re:publica 2025: XYZ – Generationen und (ihr) digitales Leben
Erstellt am: 27.06.2025
Auf der diesjährigen re:publica, der Messe für die digitale Gesellschaft, ging es um Babyboomer, Millenials, Gen Z und Gen Alpha und wie sie digitale und gesellschaftliche Entwicklungen erleben und gestalten. Ein Rückblick.
Das diesjährige Motto der re:publica war das Treffen der Generationen, oder vielmehr Mangel an Orten, die das möglich machen, sowohl online als auch offline. In Zeiten politischen Wandels, immer schnellerer technischer Entwicklungen, die darauf einwirken und wachsenden gesellschaftlichen Gräben stellt sich eine Frage, die zweifelsfrei Aufmerksamkeit verdient: Wie kommen wir wieder zusammen?
Wir waren dabei und wollen einige interessante Take Aways teilen:
Shrimp Jesus als Prophet des Endes des Internets
In seinemTalk hat Thomas Sommerer von der Universität Linz dafür argumentiert, dass mit dem Massenaufkommen von AI Slop, also KI-generierten Inhalten geringer Qualität wie bspw. Shrimp Jesus (dt. Garnelen-Jesus) Kulturgüter wie symbolhafte Figuren zunehmend an kultureller Bedeutung verlieren bzw. erst gar keine haben. Garnelen-Jesus sieht aus wie Heilsbringer und Unterwasserwesen zugleich, steht aber weder für das eine noch das andere. Er ist beides und nichts und damit ein Beispiel für bedeutungsleeren ‘Content’ – ein Medium ohne Botschaft – im Internet, der einen immer größeren Teil des Netzes ausmacht, Tendenz steigend.
(Klima-) Aktivismus: Straße schlägt Social Media
Pit Terjung von Fridays for Future Deutschland sieht einer zunehmenden Verlagerung von Aktivismus auf Social Media die Signifikanz von Vor-Ort-Aktivismus umso größer. Online-Petitionen beruhigen zwar das Gewissen (und haben auch eine gewisse Wirkung), aber auf die Straße zu gehen ist unschlagbar und unverzichtbar. Terjung forciert dabei den Erlebnis- und Event-Charakter moderner Proteste: Es gehe nicht nur um politische Aussagen, sondern auch um Gemeinschaft und ja, auch um Spaß.
Mentale Gesundheit als Social Media Trend
Dass Social Media einen negativen Einfluss auf die Selbstwahrnehmung insb. junger Menschen habe kann, ist hinlänglich bekannt. Wie mentale Gesundheit mit Selbstdiagnosen und Halbwissen zum Gut in der Aufmerksamkeitsökonimie wird, dazu forscht Laura Wiesböck vom Institut für Höhere Studien Wien. Psychische Gesundheit rückt einerseits in den öffentlichen Diskurs, wird aber auf Social Media oft ohne Fachkenntnis behandelt und führt zu Selbstphatlogieiserung, in der normale Leidenszustände zu Krankheitsbildern erhoben werden.
Wiesböck fragt, wie Leid Teil der menschlichen Erfahrung sein kann, ohne direkt – und ggf. fälschlicherweise – als Krankheit. Ein Beispiel sind Ohrwürmer, die als ADHS-Symptom gedeutet werden. Mehr als die Hälfte der 100 beliebtesten Tik-Tok-Videos dazu enthalten allerdings irreführende Informationen und über zwei Drittel davon beschreiben normale menschliche Zustände. Ein anderes Beispiel ist Molly Russell, die durch den Sog depressiver Inhalte auf Instagram in den Suizid getrieben und somit im schlimmsten Sinne Opfer der Plattformökonomie wurde.
5 Fragen für bessere Vorträge
Die re:publica lebt von guten Talks und das nahm Marcus John Henry Brown zum Anlass, in seinem letzten Vortrag als langjähriger Speaker auf dem Event fünf Fragen für bessere Präsentationen zu stellen:
1. Wer sitzt im Publikum?
2. Warum sind sie da?
3. Welches Problem wollen sie lösen?
4. Was müssen sie hören?
5. Was sollen sie durch den Vortrag tun?
Und davor? Üben, üben üben. Fun Fact: Seine Präsentation dient fortan als Guide für alle re:publica-Speaker. Was für ein Abgang.
Hier geht’s zum Talk von Marcus James Henry Brown (engl.).
Lässt sich generative KI für emanzipatorische Zwecke nutzen?
Roland Meyer von der Uni Zürich / Zürcher Hochschule der Künste beschäftigt sich mit der Frage, ob generative KI genutzt werden kann, um emanzipatorisch zu arbeiten, oder ob sie strukturell nicht als Gegenentwurf fungiert. Er zeigt, dass gen. KI von Haus aus nostalgisch ist, denn um etwas neues zu erschaffen bedient sie sich immer dem, was schon da war. Meyer argumentiert, dass KI damit faschistischen Weltanschauungen nicht nur in die Hände spielt, sondern sie zunehmend verstärkt, was sich insb. im Wahlkampf zeigt.
Ein Beispiel: Der simple Prompt “happy german familiy” wirft bei der KI Midjourney ausschließlich Bilder einer weißen Familie mit Mann, Frau und Kind(ern) in eher traditionell süddeutscher Kleidung und Kulisse aus. Auf seine Eingangsfrage findet Meyer daher eine ebenso skeptische Antwort, denn “generative KI ist kein politisch neutrales Werkzeug, sondern eingebunden in ein politisches Projekt des rücksichtslosen Extraktivismus und der schrankenlosen Expansion.” (Vortrag auf der re:publica, 26.06.2025)
KI ist ein Klimakiller
Es ist zwar kein Geheimnis, was für Unmengen an Rechenleistung und entsprechen Chips und Energie das Training und der Betrieb von KI-Modelle jedweder Couleur verbraucht, aber es ist vielen nicht bewusst, dass auch kleine Anfragen an ChatGPT, Midjourney und Co. eine starke Umweltbelastung darstellen. Hier setzt die Forschung von Jill McArdle (Beyond Fossil Fuel) und Kilian Vieth-Ditlmann (AlgorithmWatch), die in ihrem Vortrag zeigen, wie energiehungrig die großen KI-Player sind: bspw. ist Googles Energiebedarf ist in den letzten fünf Jahren um 50 % gestiegen und kürzlich wurde Elon Musks neugebauter KI-Supercomputer in Memphis wegen unzulässig vieler Gasturbinen (35) untersucht (The Guardian, Der Standard). Und es ist kein Ende in Sicht, im Gegenteil; neue Datenzentren sprießen zunehmend aus dem Boden und bedrohen damit Klimaschutzziele in Europa und weltweit.
Schlachtfeld (Social) Media: Politische Rechte vs. demokratische Mitte
Den Kampf um Demokratie kann man nur gewinnen, wenn man die politische Mitte mobilisiert, ist Dr. Maximilian Oehl von der Agentur Media Force überzeugt. Denn diese Mitte wird seit vielen Jahren von Parteien am rechten Rand umworben und deren extremistische Positionen werden zunehmend normalisiert, inbs. in sozialen Medien. Oehl wirft in seinem Vortrag vor allem einen Blick auf die strategisch aufgebauten Medienlandschaften, die dabei zum Einsatz kommen.
Sein Plädoyer ist dabei eindeutig: Dagegenhalten – systematisch. Es hat einen Grund, warum vereinfachende und extremistische Positionen funktionieren, aber diese lassen sich mit neuen und pragmatischen Formaten, Ansprachen, Technologien und Absenderinnen und Absendern kontern, entlarven und entkräften. Und soziale Medien spielen dabei eine zentrale Rolle. In Oehls Worten: “Social Media will not save democracy. But we cannot save democracy without it.”
Fake News: Die Lüge als Geschäftsmodell
Als Moderator und ‘Newsfluencer’ deckt Fabian Grischkat Falschmeldungen und Desinformation aller Art auf. Seine Beobachtung: Nachrichten werden heute nicht mehr (nur) durch etablierte Medienhäuser verbreitet, sondern vor allem auch durch Influencer und Social-Media-Kanälen fernab von journalistischem Ethos oder redaktioneller Prüfung. Denn, so Grischkat, “die Lüge ist selbst zum lukrativen Geschäftsmodell geworden” – kein Wunder in Zeiten, in denen Platformen wie X, Instagram oder Facebook unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit Content Moderation komplett kappen und (gezielte) Desinformationen algorithmisch verstärkt und angepasst an die vorherrschende Aufmerksamkeitsökonomie viele Menschen ungefiltert erreichen. Grischkat ruft zu Mut, Engagement und “sagen, was ist” auf, ebenso überzeugt und dezentral, wie es die Verbreiter von Desinformation tun. Und er weist auf zwei nützliche Tools hin, mit denen zumindest Bilder auf ihrer Echtheit geprüft werden können, die er selbst für die Validierung von Wahlkampf-News angewendet hat: sightengine und Hive Moderation.
Eine Auswahl der vielen Talks und Panels findet sich auf dem YouTube-Kanal der re:publica 25.