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  • Foto: stadtLABOR Soest

„Abends will ich Muskelkater haben“ – Soester Gesichter

Erstellt am: 02.03.2022

Digitalisierung hat viele Gesichter – Soest auch. In unserer Reihe „Soester Gesichter“ sprechen wir mit Personen, die in Soest leben oder arbeiten und erfahren, was aktuelle Themen und der digitale Wandel mit ihrem (Berufs-)Leben machen. 

Zwischen den historischen Stadtmauern der Soester Gräfte sind wir mit Markus Dolch und Till Heemann des Soester Mittelalterfreunde e. V. über Videospiele im Mittelalter-Look, Zusammenhalt und Innovation im Mittelalter ins Gespräch gekommen. Markus ist erster Vorsitzender – mit dem Rufnamen „El Presidente“. Damit ist er sowohl Ansprechpartner und Kummerkasten für alle Vereinsmitglieder als auch das Sprachrohr nach außen. Auch wenn er früher in Freikämpfen die Klinge geschwungen hat, findet man Markus heute eher hinter Geschützen oder am Schreibtisch bei der Vereinsorganisation. Till ist im Vorstand der Schriftführer, mischt aber auch in der Organisation mit und ist verantwortlich für den Facebook- und Instagram-Kanal des Vereins. Sonst kennt man Till in Soest als Hauptmann der Stadtwache Soest und ehemaliges Jägerken.

Warum ist gerade das Mittelalter interessant für euch? Und wer ist eigentlich bei dem Soester Mittelalterfreunde e. V. Mitglied?

Markus: Soest als alte Hansestadt hat eine sehr lange Stadtgeschichte. Darauf sind wir stolz und diese Geschichte möchten wir zelebrieren. Wir sind über 200 Leute im Verein, quer durch sämtliche Berufszweige und Interessensbereiche hindurch. Bei uns sind alle Mittelalterbegeisterten willkommen. Wir sind bei diversen Mittelalter-Festivals dabei, um die Stadt Soest zu repräsentieren – mittlerweile auch quer durch Europa. Darüber hinaus treibt uns an, Wissen über das Mittelalter zu vermitteln. Durch unsere Vereinsarbeit wollen wir mit dem Bild aufräumen, dass das Mittelalter ein finsteres Loch von 1000 Jahren war, wo alle Leute unglücklich waren.

Ihr wart am 12. März auch beim Social Media Workshop für Vereine dabei, den das StadtLABOR ausgerichtet hat. Welche Rolle spielt Digitalisierung bei den Mittelalterfreunden e. V.? Wie vernetzt ihr euch? Woher bekommt ihr eure Infos?

Till: Viele Vereine in Deutschland werden kleiner oder lösen sich auf. Deswegen muss man als Vorstand etwas dafür tun, dass der Verein am Leben bleibt. Um Mitglieder zu halten, beziehungsweise jüngere Personen zu erreichen, ist es eben erforderlich, auf sozialen Plattformen präsent zu sein. Darüber können wir sehr gut Infos über uns und unsere Veranstaltungen teilen. Und natürlich nutzen wir hier unsere Social-Media-Kanäle auch zum Austausch und zur Kontaktpflege mit anderen Mittelalter-Gruppen.

Markus: Darüber hinaus müssen wir viel Wissen über das Mittelalter allgemein und über Soest im Speziellen sammeln, um geschichtlich fundiert arbeiten zu können. Über Online-Tools können wir für die interne Vereinsarbeit super Fotos von unseren Veranstaltungen, Dokumente, historische Berichte und Literaturverzeichnisse sammeln. Wir recherchieren zwar viele Infos online, aber rein digital kriegen wir’s nicht hin, weil viel Literatur schlicht und ergreifend bisher nicht digitalisiert wurde.

Was Leuten anscheinend viel Spaß macht, ist über Videospiele in Mittelalter- bzw. Fantasy-Welten zu schlüpfen. Was würdet ihr von der Soester Fehde als virtuelles Spiel halten? Wo wären Chancen und was würde euch fehlen?

Till: Die Idee finde ich super interessant. Ich denke aber, es würde nicht dem gerecht werden, wofür dieses Hobby steht. Klar man kann sich Filme angucken oder Videospiele, aber wenn man physisch eine Rolle spielt, dann gehört ja viel mehr dazu und man setzt sich viel intensiver mit dem Mittelalter auseinander. Man stellt sich dann Fragen: Wie kleide ich mich? Wie fertige ich diese besondere Kleidung an? Wie spreche ich? Wie bezahlen wir? Was kochen wir? Ich glaube, das kann man im Virtuellen nur schwer nachvollziehen.

Markus: Ich bin zwar begeisterter Diablo-3- und Witcher-Zocker, aber im virtuellen Spiel würde mir die Interaktion mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern fehlen, z. B. allein das glückliche Lächeln eines Kindes, wenn man ihm den Helm aufsetzt und Schwert in die Hand drückt. Außerdem, wenn ich abends nicht Muskelkater habe und nach Rauch rieche, bin ich glaube ich, nicht zufrieden.

Was würdet ihr sagen, kann das Soest von heute aus der Vergangenheit beziehungsweise aus dem Mittelalter für die Zukunft lernen?

Markus: Eine Sache, auf die wir bei der Soester Fehde eigentlich immer stolz sind, ist, dass Soest es im Spätmittelalter über sämtliche Gesellschaftsschichten, Geschlechter und sonstigen gesellschaftlichen Grenzen geschafft hat, zusammenzuhalten und einen militärisch überlegenen Gegner vor den Wallmauern zurückzuhalten. Die Soester Fehde ist eine der wenigen mittelalterlichen Auseinandersetzungen wo belegt ist, dass Frauen mitgekämpft haben.

Generell finde ich an dem Zeitalter bewundernswert, dass die Welt weniger reizüberflutet war. Das Leben war überschaubarer. Das ist, was die Faszination an dem Hobby ausmacht: man hat Zeit sich auf die wesentlichen Dinge zu fokussieren.

Till: Wir stehen hier in der Gräfte, ich glaube es ist wichtig, das Stadtbild und die Identität der Stadt zu schützen, um sich auch den geschichtlichen Wurzeln bewusst zu werden.

Soest ist Smart City Modellprojekt und gehört bundesweit zu den innovativsten Mittelstädten. Würdet ihr sagen, das Soest aus dem 15. bis 16. Jahrhundert gehörte auch zu den innovativsten Städten?

Till: Sicherlich, da waren ganz viele Innovationen im Spiel. Es wurde geforscht, gemacht, getan! Soest als Mitbegründerin der Hanse war entscheidender Global Player. Waren wurden in ganz Europa verteilt. Das Vorurteil, dass Menschen alle todkrank und blöd waren und nach 20 Jahren gestorben sind, kann sich nicht halten. Die Soester und Soesterinnen haben im 15. Jahrhundert Kalkül, Intelligenz und Zusammenhalt mit ihrem Aufbegehren gegen das Kölner Erzbistum bewiesen und die Souveränität der Stadt erhalten.

Markus: Global Player hört sich vielleicht erstmal ein bisschen überzogen an, aber Soest war sehr weltoffen, ergriff Chancen wo möglich. Da hatten die Soesterinnen und Soester durchaus ein Händchen für. Dazu müssen wir nur auf das Soester Stadtrecht schauen: besonders im Ostseeraum wurden viele Städtegründungen durch Soester Kaufleute mit vorangetrieben – das Stadtrecht wurde im Grunde genommen komplett von den Lübeckern bei uns abgeschrieben.

Wie ist das eigentlich, habt ihr euer Smartphone heimlich im Zelt dabei, wenn die Soester Fehde stattfindet?

Markus: Also in erster Linie tut es gut, das Handy zumindest mal einen Großteil des Wochenendes im Zelt verschwinden zu lassen. Die Entschleunigung ist der Reiz! Doch da wir als Vorstand in die Organisation miteingebunden sind, müssen wir ab und zu mal draufschauen – am besten verschwinden wir dazu irgendwo in der Ecke.

Till: Eigentlich ist es tatsächlich verpönt und viele von uns genießen es eben, nicht permanent auf das Handy zu schauen und nicht permanent erreichbar zu sein.

Auf einer Skala von 1- 10, wie digital ist Soest heute?

Markus: Ich würde 6 sagen. Die digitalen Ansätze sind da, aber es fehlen die Bindeglieder. Ich sehe eine Sammlung von Insellösungen, dazwischen müssen aber die Prozesslücken noch geschlossen werden. Dann macht für mich Digitalisierung erstens a) Sinn und b) Spaß!

Till: Als Pilotstadt der Digitalisierung sind wir auf einem guten Weg, haben aber auch noch ein Stück Weg vor uns. Daher würde ich zwischen 6 und 7 sagen. Aber da muss man wirklich in die Details schauen, weil jeder Einzelne unterschiedliche Einblicke in die Digitalisierung hat, z. B. von Stadtverwaltungen, Unternehmen, Bürgervereinen, Institutionen etc.

 Weitere Infos zum Soester Mittelalterfreunde e. V. gibt es hier: www.mittelalterfreunde.org/wb/ und https://www.instagram.com/mittelalterfreunde_soest/ und https://www.facebook.com/soester.mittelalterfreunde/

DAS GESPRÄCH FÜHRTEN ELISABETH SÖLLNER UND STEPHAN SIEGERT.