„Der größte Vorteil ist die Flexibilität“ – Soester Gesichter
Erstellt am: 28.05.2025
Digitalisierung hat viele Gesichter – Soest auch. In unserer Reihe „Soester Gesichter“ sprechen wir mit Personen, die in Soest leben oder arbeiten und erfahren, was aktuelle Themen und der digitale Wandel mit ihrem (Berufs-)Leben machen.
Wir haben uns mit Ricarda Frede unterhalten, die seit knapp fünf Jahren das KulturBüro in Soest leitet und seit September 2023 auch das Förderprogramm „DRITTE ORTE“ betreut. Ricarda ist zwar gebürtige Kölnerin, aber mit Herz und Seele Soesterin.
Hallo Ricarda, kannst du dich vorstellen und erzählen, welche Aufgaben du im Kulturbüro übernimmst?
Ich heiße Ricarda Frede und lebe seit fast 38 Jahren in Soest. Als Mutter von drei Kindern und Frau eines Soester Künstlers leite ich seit fünf Jahren das KulturBüro Soest mit dem Schwerpunkt Netzwerkmanagement, Vermittlung, Moderation, Informationsmanagement, Publikation und Förderberatung sowie dem Aufbau des allgemeinen Kulturmarketings und Kulturmanagements in Soest. Seit dem vergangenen Jahr gehören zu den Aufgaben u. a. das Projektmanagement und die Prozessbegleitung der Förderprogramme „ALLER.LAND“ (KULT vereinT) und „DRITTE ORTE“ (KulturQUARTIER). Wichtig ist, dass wir Kultur nicht im engen Begriff betrachten (bildende Kunst, Musik, Literatur, Theater…), sondern mit dem weiten Begriff, zu dem auch kulturelle Bildung, Demokratieförderung und Miteinander gehören. Ein Schwerpunkt meiner Arbeit liegt hier häufig auf der Identifikation von Vorhandenem und von Synergien. Dabei ist es immer ein Anliegen, Ressourcen zu sparen und gemeinsame (Kultur)projekte in Soest zu entwickeln. Ich schaue, was läuft in Soest und der Region? Wie lässt sich das zusammendenken und weiterentwickeln? Vor allem ist es mir wichtig, den Input aus der Region zu sammeln und sicherzustellen, dass lokale Akteure von den Projekten profitieren können. Beide Projekte des vergangenen Jahres waren großartig um viele Ansätze diesbezüglich zusammen zu führen und eine Basis für die zukünftige Arbeit des KulturBüros zu legen.
Wie bist du zu der Arbeit im Kulturbüro gekommen? Was hat dich inspiriert?
Der Weg dahin besteht aus vielen Zufällen, sich ergebenden Möglichkeiten und Türen, die (unerwartet) aufgegangen sind – ungeplant, kreativ und immer mit der Unterstützung vieler wohlwollender Personen, so wie es sich auch in meiner heutigen Arbeit immer wieder findet. Letztendlich habe ich in den Niederlanden den Bachelor of Arts mit dem Schwerpunkt Kulturmarketing absolviert. Der intensive Praxisbezug und die quasi persönliche Betreuung in dem neueingeführten Studiengang zu der Zeit waren unschlagbar. Auch wieder durch Zufälle habe ich meine Auslandspraktika und meine Bachelorarbeit in Deutschland bestritten. So dass ich im Maximilianpark in Hamm als Werkstudentin und kurzzeitige Mitarbeiterin übernommen wurde. Zum Leidwesen meiner Eltern habe ich mich danach noch einmal freiwillig in ein Praktikumsverhältnis beim Stadtmarketing Soest begeben, was genau die richtige Entscheidung war. Diese Einblicke, die großartige Mentoren-Begleitung, das Team an sich, die Autarkie, mit der ich aktiv sein durfte und die Vielfältigkeit, in die ich dort hineinschnuppern durfte, möchte ich nicht missen. Damals galt ich mich meinen „damaligen Kenntnissen“ noch fast als Digital Native und konnte somit auch meinen Input liefern. Zudem ermöglichte genau dieses Praktikum eine Anstellung im Ortsmarketing in Bad Sassendorf, um dann im Bereich Wirtschaftsförderung und Stadtmarketing als Angestellte in die WMS (Wirtschaft und Marketing Soest GmbH) zurückkehren zu dürfen. Hier ergab sich erneut ein großartiger Zufall, das genau zu der Zeit das Kulturprojekt SoestART dort angesiedelt wurde – der Aufbau einer Kulturmarke, die Vernetzung der Soester Kulturakteure und das gemeinsame Kreieren eines Projektes. Das war der Moment, der mir bestätigte, dass Kultur, das Arbeiten mit Menschen und (kreative) Prozesse genau mein Ding sind. Wie der Zufall es so wollte, ergab sich dann nach 7 Jahren bei der WMS die Möglichkeit, die Leitung des KulturBüros in Soest zu übernehmen, da der Vorgänger Klaus Moennig aus Altersgründen ausgeschieden ist. Das war ein neues Spielfeld – Wunsch, Aufgabe und Bitte war die Neuprofilierung des KulturBüros und eine dauerhafte Vernetzung der (Soester) Kulturszene… Soviel Kreativität, Freiraum zum Gestalten und autarke Arbeit musste man mir nicht zwei Mal schmackhaft machen. Ein Schritt, den ich trotz der Herausforderung, von einer Festanstellung angelehnt an den TöVD zu einem Kulturverein zu wechseln, gerne gegangen bin. Es gibt keinen Tag, der wie der andere ist, und es macht einfach Spaß, immer wieder neue Ideen zu entwickeln, tägliches Miteinander zu erleben und mitzugestalten, flexibel agieren zu können, im Team zu arbeiten und Unterstützung jeglicher Art zu erfahren, erleben zu dürfen, mit wieviel Herzblut Ehrenamt gelebt wird. Mittlerweile ist das KulturBüro fester Bestandteil im Stadtgeschehen und dient als Querschnittsaufgabe unabhängig von Verwaltungsstrukturen – das ist jeden Tag Freude, Herausforderung und Input auf einmal. Genau das, was inspiriert und was man – um Inspiration weitergeben zu können – benötigt.
Hast du denn Lieblingsprojekte?
Ja, wenn ich auf die letzten 5 bis 6 Jahre zurückblicke, könnte ich fast jedes einzelne Projekt nennen, weil ich bei jedem das tun konnte, was mir wirklich Spaß macht. Besonders am Herzen liegt mir aber aktuell das KulturQUARTIER. Es ist großartig zu sehen, dass es Engagement, Demokratie und Miteinander eben doch noch gibt. Es ist unfassbar, was das Überlassen von ZEIT, RAUM und VERTRAUEN ermöglicht. Es ist täglich ein kleines Weihnachtswunder zu erleben, was Begegnung, Miteinander und Niederschwelligkeit schafft – auch Diskurs, aber dieser ist nötig und unumgänglich. Ich glaube, das KulturQuartier wird ein echter Meilenstein für die Zukunft von Soest, und es ist ein tolles Gefühl, dieses wachsen zu sehen.
Kannst du näher beschreiben, was das KulturQUARTIER genau ist?
Das KulturQUARTIER ist aus dem Förderprogramm „Dritte Orte“ entstanden, ist eine Community, ein Ort und ein Experimentierraum in einem und trägt den Charakter eines Mehrgenerationenhauses. Es legt den Schwerpunkt auf Begegnungen, niederschwelliges Zusammenkommen, Mitwirken und Kultur, aber auch auf Demokratieförderung. Es geht darum, Menschen Raum, Zeit und Vertrauen zu geben, damit sie sich treffen, gestalten und ihre Selbstwirksamkeit erleben können – und das passiert hier tatsächlich. Nicht nur im programmatischen Sinne – das KulturQUARTIER hat ein KulturWohnzimmer und ist 24/7 geöffnet, bzw. erreichbar. Es ist Begegnungs-, Rückzugs- und Kreativraum zugleich und wird von Individuen, Vereinen, Gruppen aber auch Institutionen gleichermaßen genutzt und aufgesucht. Parallel haben wir das Gefühl, dass das KulturQUARTIER ungewollt einen Generationenübergang begleitet und somit vieles (Neues) willkommen heißt und gleichzeitig Abschiede ermöglicht.
Im KulturQUARTIER ist jede Altersgruppe vertreten, besonders engagiert ist aktuell die Zielgruppe der 14, bzw. der 30-40-Jährigen. Sie bilden das Kernteam und tragen die Sparten, die sich im QUARTIER wiederfinden: es gibt Theaterangebote, die Pixelkultur, die eine Gaming- sowie Marketing-Szene mit einer neuen Initiative hier aufbauen. Wheels & Walls, die Graffiti und Bewegungsangebote vereinen, der Kreativbereich, Kochangebote, viele SpieleCommunities treffen und formieren sich hier, die Kulturloge Soest gründet sich durch das KulturQUARTIER, die DJ-Kultur Soest hat hier ihr zu Hause und Ausgangspunkt ihrer überregionalen Arbeit gefunden etc. Aushängeschild ist aber u. a. das Jugendbüro, das sich im Rahmen des KulturQUARTIERS gegründet hat, sich selbst organisiert, eigene Sponsoren gewinnen konnte und nun Autarkie und Selbstwirksamkeit im besten Sinne präsentiert und realisiert. Es ist faszinierend zu sehen, wie aus dem kleinen Samen, den wir gesät haben, etwas Großes wächst – und die Praxis besser als die Theorie ist.
Wie immer möchten wir natürlich auch wissen, wie sich Digitalisierung in deiner alltäglichen Arbeit niederschlägt?
Ganz klar: überall! Der größte Vorteil ist die Flexibilität – ich kann von überall aus arbeiten, das KulturBüro braucht keine festen Öffnungszeiten mehr. Vieles läuft über kurze Nachrichten und vor allem im Bereich der „Bist du da?“ – „Ja, komm vorbei!“ Die Kommunikation ist spontaner, Arbeitszeiten flexibler, gerade für die Vereinbarkeit von Job und Familie ein Gewinn. WhatsApp ist bei uns das zentrale Tool für Abstimmungen – schneller als E-Mails, aber wir müssen aufpassen, das Analoge nicht komplett zu vergessen. Denn klar, digitale Kommunikation ist effizient, aber echte Begegnungen sind immer noch essenziell. Und vor allem merken wir in dem Miteinander, was ja u. a. im Quartier so wichtig ist – wie ausschlaggebend Mimik und Körpersprache ist, gerade wenn man sich nicht all zu lange kennt. Die schnelle Kommunikation und die Mischung aus Informationsvermittlung, Abstimmung und „Small Talk“ lassen auf dem digitalen Wege häufig noch mehr Missverständnisse entstehen.
Spannend finde ich, wie die nächste Generation digitale Werkzeuge nutzt – denn ich bin von dem „Digital Native“-Dasein weit entfernt, so viel Mühe ich mir auch gebe: Allein die Gruppe Pixelkultur bringt KI, Gaming und viele weitere digitale Ansätze mit rein – ChatGPT ist ihr bester Freund und ständiger Begleiter. Im Gegensatz zu mir verstehen sie ihn aber auch detailliert und tasten sich nicht gerade erst ran – da lernen wir ständig dazu und dennoch merke ich als KulturBüro, dass ich auch in diese Richtung häufig vermitteln muss, dass andere Kommunikationswege, Informationsquellen und Ansätze nicht einfach wegfallen können und dürfen. Es gilt in beiden Bereichen – analog und digital – zu schauen, dass nicht irgendwelche Zielgruppen dauerhaft wegfallen, einfach weil sie vergessen wurden oder die jeweils „unpassende“ Kommunikationsart nutzen. Und natürlich stecken auch in unseren Projekten digitale Ansätze: vom Kalender Soest über WhatsApp Communities, digitalen Foren und Plattformen, aber: Ganz vorn sind wir sicher nicht – wir sind definitiv mitten im Wandel, wie alle; informieren uns, versuchen auf dem Laufenden zu bleiben und das zu realisieren, was seitens des KulturBüros mit einem 1-Personen-Betrieb umgesetzt werden kann. Für (kostenlose) Unterstützung sind wir jeder Zeit dankbar 😉 – denn auch das ist nicht zu missachten: Dass Digitalisierung sicherlich vieles (kostenlos) ermöglicht, aber vorab viel Zeit sowie personelle und finanzielle Ressourcen benötigt, um es zu begreifen, zu lernen, häufig individuell zu programmieren und dann auch nachhaltig weitertragen zu können – und vor allem stetig anzupassen, denn Digitalisierung – wem sage ich das? – bedeutet schneller und stetiger Wandel.
Gibt es Herausforderungen oder gesellschaftliche Auswirkungen, die du beobachtest?
Definitiv! Die größte Herausforderung ist die Erwartung an schnellen Reaktionen (die man vor allem an sich selbst hat!) und die Möglichkeit an so viele Informationen zu kommen, dass man erst einmal filtern muss, was denn Sinn macht, um in der Überflutung nicht unterzugehen. Alles soll sofort gehen – das kann unter Druck setzen. Und parallel – aber das ist nichts Neues – besteht die Gefahr, dass das Digitale das reale Miteinander aushebelt, einschränkt, „überflüssig“ macht…
Ich hatte erst Bedenken: Wie lassen sich schnelle digitale Abläufe mit unserer Idee eines „Dritten Ortes“ als Begegnungsraum verbinden? Aber es klappt! Unsere digitale Community existiert nicht nur online, sondern trifft sich auch real. Das Gaming und die Kommunikation über Discord-Channels finden statt – dennoch trifft sich die Gemeinschaft regelmäßig zum Austausch für gemeinsames Spielen, zu Turnieren, zu Olympiaden… das könnten sie in der Theorie auch alle digital – vom Bildschirm zu Hause aus – aber nein, sie schleppen ihr gesamtes Equipment hier hin und nehmen es auch wieder mit.
Bis vor Kurzem – naja ok… mittlerweile auch 2 Jahre her – verlief die hauptsächliche Kommunikation über E-Mails – jetzt organisieren wir Events spontan und flexibel, manchmal gefühlt in Echtzeit – und die Teilnahme ist großartiger. Das macht vieles dynamischer. Aber wir müssen aufpassen, dass wir diejenigen, die eher analog unterwegs sind, nicht abhängen. Diese Balance zu halten, ist eine spannende Herausforderung, wie eben schon erwähnt.
Was wünschst du dir denn für die Zukunft von Soest?
Dass die Offenheit bleibt, ebenso wie Transparenz und das Vertrauen in Neues – dieses sich aber weiter intensiviert und zum Alltag wird! Kultur ist mehr als nur Theater oder Museen, Digitalisierung ist mehr als KI, Roboter und VR-Brillen – beide Ansätze sind Motoren für gesellschaftliche Fortschritte und die Basis unseres alltäglichen Miteinanders. Ich wünsche mir, dass dieses breite Verständnis von (kultureller) Bildung weiterwächst – auch mit digitaler Unterstützung. Kultur ist oft der erste Schritt zu echter Teilhabe, zu Selbstwirksamkeit. Mir wäre es – nicht nur für Soest – ein Anliegen, dass wir nicht immer über alles sprechen und es benennen müssen, sondern dieses in unser alltägliches Sein integrieren und als Selbstverständnis leben und umsetzen. Aber wichtig ist – nicht nur für die Kultur – dass digitale und analoge Formate nicht nur nebeneinander existieren, sondern sich wirklich ergänzen. Soest ist da auf einem guten Weg und ich freue mich riesig, aktiv und passiv zu partizipieren.
Und was macht für dich eine lebenswerte Stadt aus?
Freiheit zur Mitgestaltung, aber ohne Überforderung. Eine Stadt sollte genug Möglichkeiten bieten, ohne dass man sich im Überangebot verliert. Wichtig ist dieses gewisse „Heimatgefühl“ was ein willkommen sein beinhaltet. Es muss nicht jeder jeden kennen, aber man sollte sich auf Augenhöhe begegnen – generationenunabhängig, funktionsunabhängig, regionsunabhängig, nationsunabhängig – und das erlebe ich überwiegend in Soest.
Wir haben für uns nicht die Frage gestellt, ob unsere Kinder hier aufwachsen sollen – es war ein Selbstverständnis. Identifikation, Diskurs, Autarkie, (Mit)gestaltung und Experimentierräume sind hier möglich – nicht nur im QUARTIER – und das braucht es zum Aufwachsen. Es heißt nicht umsonst, dass man „ein ganzes Dorf braucht, um ein Kind zu erziehen“ – ein Dorf das auch Soest sein kann und ist.
Eine gute Stadt verbindet Menschen, bringt sie zusammen und zeigt, wo gemeinsame Ziele erreicht werden können. Das macht eine Stadt für mich lebenswert – ein Ort, an dem ich mir vorstellen kann, dass auch zukünftige Generationen gerne aufwachsen. Wie großartig wären dann noch Ansätze, wie eine „Bildungs-Kommune“ auf die ich erst vor Kurzem durch meine Schwester gestoßen wurde und die sich als Wunsch und Vision verinnerlicht – mal sehen, was man über den Bereich Kultur und Digitalisierung anstoßen oder ausweiten kann.