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  • Portraitfoto von Enneke Siedler vor einem Bücherregal in einer Soester Buchhandlung.

    Foto: Kerstin Großbröhmer

„Das Buch wurde schon ganz häufig totgesagt, ist aber nicht totzukriegen“ – Soester Gesichter 

Erstellt am: 12.03.2021

Digitalisierung hat viele Gesichter – Soest auch. In unserer Reihe „Soester Gesichter“ sprechen wir mit Personen, die in Soest leben oder arbeiten und erfahren, was aktuelle Themen und der digitale Wandel mit ihrem (Berufs-)Leben machen.

Aufgewachsen ist Enneke Siedler in München – die 48-jährige Mutter von Drillingen hat Soest allerdings längst zu ihrer Wahlheimat gemacht und fühlt sich stark in der Stadt verwurzelt. Dies zeigt sich auch darin, dass die Buchhändlerin die alteingesessene Rittersche Buchhandlung zum Januar 2021 von ihrer Vorgängerin, Gundula Rohe, übernommen hat. Wir sind mit Enneke Siedler über die Rolle einer modernen Buchhandlung zwischen analoger Nostalgie und digitaler Zukunft sowie dem Wunsch nach einer Etablierung als Dritter Ort ins Gespräch gekommen.

Frau Siedler, wo verändert Digitalisierung Ihren Alltag und Ihr Berufsleben?

 Im Berufsleben, vor allem beim Thema Buchhaltung, mache ich fast alles digital. Das bringt sehr viele Vorteile, aber es ist auch viel Arbeit, um eine Routine bei den Vorgängen zu bekommen. Beispielsweise wird jede Rechnung digital hochgeladen und in einer Cloud zur Verfügung gestellt. So kann ich mich von der langjährigen „Zettelwirtschaft“ verabschieden und verschiedene Stellen, zum Beispiel die Steuerberatung, können auf die Unterlagen zugreifen. Das ist mein großes digitales Thema im geschäftlichen Bereich.

Für unsere Kund:innen ist sicherlich unser Online-Shop und die Möglichkeit, dort rund um die Uhr Waren zur Abholung bestellen zu können, eine Selbstverständlichkeit geworden. Die Buchhandlung hat außerdem seit einiger Zeit einen Instagram-Kanal, in den ich mich gerade intensiv einarbeite.

Privat ist es im Grunde ähnlich: Ich sehe viele Vorteile; bin aber auch niemand, der zum Beispiel bei der Sammlung von Daten besonders ängstlich oder skeptisch ist. Natürlich muss man sich regelmäßig bewusstmachen, was es für die eigenen Daten bedeutet, wenn ich mich im Internet aufhalte. Meine Kinder wachsen sehr natürlich mit Digitalisierung auf – der Umgang damit ist für sie selbstverständlich. Trotzdem muss man für dieses Thema immer wieder sensibilisieren, was mit Fotos oder Daten im Internet passiert.

Das klassische Buch hat starke Konkurrenz bekommen. Wie schätzen Sie das ein? Ist das Buch ein Auslaufmodell?

Nein, überhaupt nicht. In der aktuellen Pandemie erfährt das Buch eine Renaissance. Schwieriger ist die Begeisterung junger Leute, also von Teenagern oder jungen Erwachsenen, weil diese eben auch mit den digitalen Medien und Angeboten fast selbstverständlich umgehen. Diese Zielgruppe zurückzugewinnen für das normale gedruckte Buch ist tatsächlich eine Herausforderung, auch aufgrund der vielen Ablenkungen, die das Digitale oder das Internet anbieten.

Für ein Buch muss man sich Zeit nehmen und Muße haben. Auch im aktuellen Lockdown ist diese Zeit für Viele vorhanden. Spannend wird es sein, wenn wir wieder in eine gewisse Normalität kommen und ob die Ablenkungen dann wieder stärker zunehmen. Das gedruckte Buch wurde schon ganz häufig totgesagt, ist aber nicht totzukriegen. Da bin ich sehr optimistisch.

Eine Buchhandlung wie unsere ist auch ein Begegnungsraum. Bei uns geht es auch um Gespräche. Es geht nicht nur um den reinen Handel. Natürlich leben wir davon und haben Freude daran, zu beraten und zu verkaufen, aber da ist eben auch noch mehr.

Spielt Ihre letzte Anmerkung auch auf Ihre Idee an, die Rittersche Buchhandlung zu einem Dritten Ort zu entwickeln? Können Sie uns darüber Genaueres erzählen?

Es ist mein Wunsch und Ziel die Buchhandlung als einen Dritten Ort zu etablieren – neben der Arbeit und neben dem zu Hause. Einen Ort, den Menschen gerne regelmäßig aufsuchen, weil sie dort inspiriert werden und Atmosphäre und Entschleunigung zu finden. Ich denke, dass die Rittersche das für etliche Stammkunden unbewusst schon ist. Einfach mal raus aus der Alltagshektik und jenseits des Handygebrauchs in eine nostalgische, analoge Welt abzutauchen. Ich glaube, dass wir ein wichtiger Gegenpol zur Schnelllebigkeit der digitalen Welt sind. Ich möchte u. a. einen Bereich der Buchhandlung als eine Art „Wohnzimmer“ einrichten; mit Sofa, Teppich und Kaffeemaschine. Pläne dafür liegen schon in der Schublade.

Zum Stichwort Nostalgie: Wenn ich in eine Buchhandlung gehe, ist es häufig ein bisschen so, als ob ich in meine Kindheit zurückgehe. Das ist alles andere als digital. Wie sehen Sie das – soll das Digitale in Ihre Buchhandlung Einzug erhalten?

Hauptsächlich ist es ein analoger Raum, und das ist gut so. Unser Online-Shop ist natürlich virtuell. Viele Kund:innen betreten unsere Buchhandlung mit digitalem Gerät und zeigen uns darauf Bücher, die sie im Internet recherchiert haben, aber bei uns bestellen möchten. Unser Instagram-Account bringt das analoge Buch und unseren analogen Raum über das digitale Medium zu den Menschen. Ansonsten sind wir analog und dieser Gegenpol zur digitalen Welt da draußen möchten wir auch sein. Wir nutzen Digitales, wo es passt, aber das analoge Buch ist unsere Stärke.

Passt das Bild, dass Buchhändler:innen analoge Suchmaschinen sind?

 Das ist ein schönes Bild – ja, da vereint sich natürlich viel Wissen und Erfahrung. Jede:r Kolleg:in hat da ganz eigene Stärken. Man muss natürlich sein Sortiment kennen, erst dann kann man gute Beratung bieten. Viele Geschichten und Bücher sind tatsächlich über die Jahre und Jahrzehnte im Kopf gespeichert und analog abrufbar.

Ob Enneke Siedler sich eine Stadt ohne Buchhandlung vorstellen kann und weshalb Soest für sie nur 5 von 10 Punkten in Punkto Digitalisierung erhält? Den zweiten Teil des Interviews findet sich hier.

DAS GESPRÄCH FÜHRTEN JUDITH SÜMMERMANN UND KERSTIN GROßBÖHMER.