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  • Porträtfoto von Thilo Volkmann, der in einem gelben Stuhl sitzt.

    Foto: Volkmann GmbH

„Digitalisierung steht für viel mehr als nur für Videokonferenzen“ – Soester Gesichter

Erstellt am: 02.02.2021

Digitalisierung hat viele Gesichter – Soest auch. In unserer Reihe „Soester Gesichter“ sprechen wir mit Personen, die in Soest leben oder arbeiten und erfahren, was aktuelle Themen und der digitale Wandel mit ihrem (Berufs-)Leben machen.

Die Volkmann GmbH stellt stark spezialisierte Maschinen für die Pharmazie, die Chemie, die Nahrungsmittelindustrie und weitere Branchen her und begleitet ihre Kund*innen dabei von der Idee bis zum vollständigen System. Mit rund 140 Mitarbeiter*innen ist das Unternehmen einer der größeren Arbeitgeber in Soest und hat zudem Standorte in Großbritannien, Frankreich, den USA und in den Niederlanden. Wir haben mit Thilo Volkmann, 51 Jahre, im Rahmen unserer Interviewreihe „Soester Gesichter“ gesprochen. Thilo Volkmann ist seit 1992 Geschäftsführer der Firma, die 1973 von seinen Eltern gegründet wurde.

Herr Volkmann, wie verändert sich Ihr Arbeitsalltag durch Digitalisierung?

Nun, meine Antwort in Kurzform zu Ihrer Frage könnte lauten: Mein Alltag verändert sich durch Digitalisierung immer zum Besseren, mit ganz viel Freude an Neuem, aber auch gelegentlichem Frust. Aber Resignation und Aufgeben gilt nicht! Denn Digitalisierung findet überall um uns herum statt. In meinem beruflichen und auch persönlichen Alltag genauso wie auch in Ihrem. Und das seit vielen, vielen Jahren.

In meinem Alltag als Unternehmer und Geschäftsführer beschäftigen mich die für mein Unternehmen und damit auch die für meine Mitarbeitenden bedeutenden Fragen: Was müssen wir heute tun, um morgen noch wettbewerbsfähig und erfolgreich sein zu können? Wie treffen wir bessere Entscheidungen? Welchen Trends gehen wir nach? Ich könnte noch etliche weitere Fragen aufzählen. Digitalisierung steht für viel mehr als nur für die Gruppenvideokonferenz mit x Teilnehmern. Die Digitalisierung unserer Anlagen und Steuerungen werden uns in Zukunft ganz massiv dabei unterstützen besser zu verstehen, was unsere Kunden mit unseren Produkten machen und wie gut diese funktionieren, wenn wir nicht selbst persönlich dabei sein können. Diesen Gesichtspunkt der Industrie 4.0 sehnen wir herbei und arbeiten daran.

Durch die Corona-Pandemie hat die Digitalisierung viele Arbeitsplätze verändert. Arbeiten Sie mit dem Medium „Homeoffice“? Wie gestaltet sich dies zum Beispiel in der Produktion?

Homeoffice oder mobiles Arbeiten gab es bei uns vereinzelt auch schon vor Corona, war aber eine Ausnahme. Die Pandemie hat hier im Hause zu einem rasanten Umdenken und Möglichmachen beigetragen. Viele Kolleginnen und Kollegen des Bürobereichs können vom Homeoffice aus live auf unseren Servern arbeiten.

Ganz anders ist das bei unserer Produktion: Eine Laserschneidanlage kann man nicht aus dem Homeoffice betreiben. Genauso wenig Bleche umformen, schweißen, schleifen, zerspanen, Vakuumförderer und ganze Anlagen montieren, testen, verpacken oder versenden. In der Produktion nutzen wir jetzt auch Videotelefonie, sodass sich zum Beispiel die gemeinsam an einem Projekt arbeitenden Mitarbeiter aus Fertigung und Konstruktion ohne persönlichen Kontakt miteinander abstimmen können. Was eine Herausforderung beim digitalen Arbeiten ist: Der tatsächliche Kontakt zur „physischen“ Welt ist bei unseren Konstruktionen unabdingbar. Unsere Ingenieure können in einer zweidimensionalen Aufnahme via Video nicht alle Details einer Konstruktion inkl. möglicher Fehler kennen.

Woher wissen Sie, welche Lösungen die richtigen für Sie und Ihr Unternehmen sind?

Das ist eine spannende Frage. Zuallererst gilt: Wir sind eine Organisation und wollen alles dafür tun, dass wir bei uns im Hause miteinander gut und über alle Abteilungsgrenzen hinweg zusammenarbeiten und kommunizieren können.

Für die Planung, Umsetzung und Optimierung unserer digitalen Prozesse haben wir z. B. eine Gruppe von Key-Usern eingerichtet, die Mitglieder unter Einbeziehung ihrer Abteilungsleiter verantwortlich unsere regelmäßig vorkommenden Geschäftsabläufe im Blick behalten und Ansprechpartner ihrer Abteilungen sind. Key-User, das sind Mitarbeitende aus allen relevanten Abteilungen, die die Prozesse abteilungsübergreifend im Blick haben und die Digitalisierung oder andere Veränderungen von Anfang bis Ende begleiten.

Bei der mittel- und langfristigen strategischen Ausrichtung des Unternehmens arbeite ich besonders eng mit meinen Abteilungsleitern, den Geschäftsführern unserer Landesniederlassungen und meinen Markt- und Anwendungsexperten zusammen, beziehe Key-User sowie andere interne und externe Experten fallweise in die Überlegungen mit ein. Aus diesen Quellen stammen viele wertvolle Impulse und Informationen. Wo immer wir können, schauen wir uns das Vorgehen und die gefundenen Lösungen anderer Marktteilnehmer an. Warum nicht von anderen lernen?

Die Volkmann GmbH hat auch internationale Standorte. Wie funktioniert länderübergreifendes Arbeiten?

Unsere Tochtergesellschaften unterstützen wir von hier aus, also aus Soest, mit vielen Dienstleistungen rund um die optimale Angebotsgestaltung und Maschinenauslegung, mit Versuchsreihen in unserem Technikum, einer Art technischem Labor, oder mit Prototypen. Dabei wird viel gesprochen, videotelefoniert und noch viel mehr an E-Mails ausgetauscht.

Hürden liegen neben der Zeitverschiebung und gelegentlichen Sprachbarrieren oft im Datenschutz und der Geheimhaltung sensibler Informationen unserer Kunden, die vertraulich sind und Landesgrenzen oft nicht überwinden dürfen. Das ist aus meiner persönlichen Sicht auch richtig so und die Hürden dürften meiner Meinung nach an einigen Stellen ruhig noch höher liegen.

Sie sprechen das Thema Datenschutz an. Sehen Sie – gerade unter diesem Aspekt – Bedrohungen durch Cyberkriminalität, insbesondere auch, weil international gearbeitet wird?

Cyberkriminalität ist ein heikles Thema. Im vorletzten Jahr wurde z. B. eine Rechnung einer unserer Landesniederlassungen auf dem Weg der E-Mail-Kommunikation abgefangen und verändert. Es ging aber glücklicherweise gut, da unser Kunde aufmerksam war. Wir registrieren monatlich um die 8.000 bis 10.000 meist automatisierte Versuche, über Schwachstellen von außen in unsere IT einzudringen oder über fingierte E-Mails unsere Systeme zu kompromittieren.

Was tun Sie, um Ihr Unternehmen bestmöglich vor diesen Angriffen zu schützen?

Wir passen unsere Verfahrensweisen und Kommunikationswege immer wieder an und härten sie. Daneben haben wir gemeinsam mit externen Spezialisten und Beratern schon vor langer Zeit ein Managementsystem für unsere Informationssicherheit aufgebaut. Wir investieren permanent in die Hard- und Software unserer Sicherheitssysteme. Außerdem schulen wir unsere Mitarbeiter*innen regelmäßig.

Gibt es ggf. (regulatorischen) Handlungsbedarf in Bezug auf Digitalisierung? Gibt es Unterschiede an Ihren unterschiedlichen Standorten?

Da wären wir wieder beim Datenschutz, den unsere amerikanischen Freunde sehr locker nehmen. Gehen Sie dort spaßeshalber mal als Besucher auf eine Industriemesse. Ohne persönliche Daten gibt es meistens keinen Einlass. Ihnen wird dann eine Besucherkarte mit persönlichem Code oder Chip ausgehändigt, die dann vom besuchten Unternehmen automatisiert eingelesen wird. In Einzelfällen erhielt ich innerhalb von Sekunden und noch während der Begrüßung eine Willkommens-E-Mail mit Links zu weiterführenden Informationen. So weit, so gut. Der Spaß hört aber dann auf, wenn persönliche Daten nicht etwa nur den besuchten Unternehmen, sondern allen Ausstellern zur Verfügung gestellt werden. Und das erlebe ich in den USA eher als Regel denn als Ausnahme.

Als Privatperson sehe ich das bei der täglichen Internetnutzung ähnlich. Warum muss ich aktiv widersprechen um zu verhindern, dass ich getrackt werde? Warum muss ich „Do-not-track“-Cookies installieren, anstelle bewusst einen „Track-mich-doch-Ich-mag-Dein-Angebot-und-will-Werbung-von-Dir“-Cookie zu setzen? Das alles fühlt sich für mich als Anwender nicht rund an.

Schauen wir auf Soest und die Region: Wie sehen Sie die Zukunftsaussichten für den Standort? Wie muss sich der Standort verändern, um zukunftsfähig zu bleiben?

Innovation beginnt vor der eigenen Haustür und beinhaltet den Willen zur Veränderung und das Loslassen von überkommenen Konzepten und Vorstellungen. Der Standort Soest und die Region müssen dauerhaft Mittel und Wege finden, ihre Attraktivität in den Augen junger Menschen und Familien zu steigern. Denn ohne eine gewaltig hohe Anziehungskraft suchen sich qualifizierte Einsteiger ins Berufs- und Familienleben andere Lebensmittelpunkte. Die örtliche Fachhochschule in ihrem regionalen Fachhochschulverbund ist ein dickes Pfund und eine wahre Goldgrube für die Stadt und die Region, die unbedingt weiter unterstützt und ausgebaut werden muss. Gleiches gilt für Ausbildungsbetriebe und Weiterbildungseinrichtungen. Hier lernt man. Hier lebt man. Und es lässt sich hier gut leben.

Welche Schritte gehen Sie, um den Standort zu stärken?

Ich tue alles dafür, um mit meinem Unternehmen die Bedürfnisse des Markts zu befriedigen und meine Kunden glücklich zu machen. Das gelingt mir dauerhaft nur dann, wenn mein Unternehmen seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter persönlich und fair behandelt, sie fördert und ihnen heute wie in Zukunft eine erfüllende Tätigkeit und sichere Arbeitsplätze anbietet. Zusehends geraten dabei absolut zurecht auch Themen wie Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung in den Fokus. An diesen Themen und Fragen muss ich als Verantwortlicher mein Denken und Handeln zukunftsorientiert ausrichten.

Wie stellen Sie sich Soest in 20 Jahren vor? Was ist das für ein Ort?

Hm, dann wäre ich 71 und Soest führt für seine Innenstadt vermutlich immer noch Diskussionen um Kopfsteinpflaster, kirmesgerechte Bebauung und ein Verkehrswegekonzept. Auch Elektro- und Wasserstoffangetriebene Fahrzeuge brauchen Platz. Als ehemaliges Dorfkind ist die autofreie Innenstadt für mich eine Illusion, das Umland würde bewusst ausgeschlossen und zum Einkauf in die Peripherie und die umliegenden Orte mit bequemer zu erreichendem Angebot verdrängt. Ich bin mir aber recht sicher, dass ein brauchbarer Kompromiss zwischen Anwohnern, Gewerbetreibenden, Politik und Verwaltung gelingen kann. Soest wird seinen liebevollen Charme behalten, eher noch ausbauen, wie es z. B. jüngst der vortrefflich gestaltete Rosengarten und die sanierten Wallabschnitte gezeigt haben. Es wird Geschäfte in der Innenstadt geben, die zum Bummeln einladen. Und vielleicht liefern diese dann schneller zu mir nach Hause, als ich auf meinen dann alten Beinen zu Fuß nach Hause gehen kann.

Mit Thilo Volkmann sprachen Judith Sümmermann und Kerstin Großbröhmer (Projektbüro Digitale Modellregion).