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  • Porträtfoto von Simone Folke, die in einem Sessel sitzt.

    Foto: Kerstin Großbröhmer

„Wie gesund ist Soest?“  – Soester Gesichter

Erstellt am: 18.09.2020

Digitalisierung hat viele Gesichter – Soest auch. In unserer Reihe „Soester Gesichter“ sprechen wir mit Personen, die in Soest leben oder arbeiten und erfahren, was aktuelle Themen und der digitale Wandel mit ihrem (Berufs-)Leben machen.

Simone Folke ist Psychotherapeutin für Verhaltenstherapie und Hypnotherapeutin in Soest und zudem an der Dr. Becker Klinik Möhnesee beschäftigt – und zwar „aus Berufung“, wie sie uns im Gespräch erzählt hat. Dass sie gerne mit Menschen arbeiten und etwas für die „Seele“ tun möchte, war ihr schon als Kind klar. Als Kind und aufgrund der kindlichen Perspektive zuerst mit der Idee, dem als Friseurin nachzukommen und Menschen eine Freude zu machen, indem man sie schön macht, entwickelte sich bei ihr bereits im Alter von 13/14 Jahren der Berufswunsch als Psychotherapeutin zu arbeiten.  Simone Folke ist gebürtige Ostönnerin und wohnt dort fast ihr gesamtes Leben – mit Unterbrechungen für das Studium und die Weiterbildungen in Münster und Wien. Derzeit absolviert sie noch eine Weiterbildung zur Ego-State-Therapeutin (als traumaspezifische Weiterbildung mit dem Fokus auf therapeutische Teilearbeit). Seit kurzem hat sie eine Zulassung für einen halben Kassensitz in Soest und arbeitet somit mit Privatpatienten und gesetzlich versicherten Patienten.

Frau Folke, wie geht es Ihnen heute?

Heute geht’s mir sehr gut – ich hatte heute Morgen schon eine schöne Therapiegruppe. Da aktuell viel zu tun ist, habe ich heute Morgen gedacht, ich tu etwas für die Patient*innen und für mich als Selbstfürsorge und wir haben einen therapeutischen Spaziergang an der Möhne gemacht. Das war für alle eine schöne Erfahrung. Und deswegen bin ich heute sehr achtsam unterwegs.

Wo trifft Sie die Digitalisierung?

Als Privatperson natürlich täglich im Alltag durch die Nutzung des eigenen Handys, des Internet und im Kontakt mit den neuen Medien. Im beruflichen Bereich erleben wir gerade einen Wandel hin zur Digitalisierung, ob in der Klinik oder der Praxis. Der Anschluss an die Telematikinfrastruktur ist für Praxen nun vorgeschrieben und das bedeutet, dass wir alle Daten digital mit den Krankenkassen austauschen können und dass die absolvierten Therapietermine und somit die Abrechnungen datengeschützt über dieses System an die Kassenärztlichen Vereinigungen elektronisch übermittelt werden. Und es wird in Zukunft eine elektronische Patientenakte geben. Somit gibt es im Gesundheitswesen und beruflichen Alltag viele Berührungspunkte mit der Digitalisierung.

Merkt man eigentlich eine Veränderung in den Krankheitsbildern durch die Digitalisierung?

Ich sehe das bei Erwachsenen in der Klinik und der Praxis als vordergründige Suchtdiagnose nicht so häufig, in einer Suchtklinik wäre das sicherlich anders.  Im Kinder- und Jugendbereich höre ich von Kolleg*innen, dass sie immer häufiger mit Internet- und Handysucht konfrontiert sind. Ich habe aber schon Patient*innen behandelt, die im Alltag in digitale Welten abtauchen. Da ist deren Alltag so stressig, dass sie alternativ lieber Stunden in Pseudowelten verbringen und sich wegbeamen. Ohne digitale Welt würden diese Personen dann vielleicht mehr trinken oder rauchen. Im Prinzip ist das eine Möglichkeit der Vermeidung, eine häufige Schutzstrategie, die Erkrankungen allerdings aufrechterhält.
Was die Kommunikation bzw. den Kontakt miteinander angeht: Immer mehr Menschen, die häufig digital unterwegs sind, sind dadurch gar nicht mehr in der Lage, neue Kontakte aufzunehmen oder zu halten. Beziehungsgestaltung läuft nun häufig über das Handy ab – und das kann für manche Personen ein Vorteil sein, wenn man es z. B. nicht schafft, im echten Leben Kontakte aufzunehmen oder zu halten aufgrund sozialer Ängste. Digitale Medien bieten für manche Menschen einen weniger schambehafteten Austausch mit mehr Schutz und Distanz, wirkt somit entlastend. Die negative Seite dagegen ist, dass Menschen sich so noch mehr zurückziehen können, ohne dass es auffällt.

Zu den Vorteilen: Es gibt mittlerweile tatsächlich viele hilfreiche Angebote für Erkrankte, wie zum Beispiel unterstützende Therapie-Apps. Von daher müssen wir uns als Therapeut*innen ständig informieren: Was gibt es auf dem Markt? Was kann ich an die Hand geben, was ist fachlich vertretbar, wissenschaftlich fundiert und kann die Therapie sogar unterstützen?

Sie sagen, Digitalisierung kann bei Therapien hilfreich sein. Können Sie uns das noch besser erläutern?

Es gibt Apps, die inhaltlich nach Therapieschulen oder spezifisch für Störungsbilder programmiert werden. Zum Beispiel gibt es Depressions-Apps, die sich an den spezifischen Therapiemanualen orientieren, die einzelne Therapiebausteine der Depressionsbehandlung regelmäßig abfragen und Übungen wie den Aufbau positiver Aktivitäten unterstützen. So startet die App beispielsweise morgens zur Einhaltung der Tagesstruktur mit einer SMS und der Frage „Bist du heute schon spazieren gewesen?“, somit erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass positive Aktivitäten in den Alltag eingebaut werden. Oder es gibt Anwendungen für Achtsamkeitstrainings oder Entspannungsübungen. So etwas ersetzt keinen Therapeuten, kann aber ergänzen oder vorbereiten. Zudem war es gerade in den letzten Monaten in  Zeiten von Corona wichtig und ist es bis heute, dass Therapiesitzungen über Videokonferenz angeboten werden können – das war und ist zum Beispiel für Angstpatienten aber auch chronisch kranke Patienten wichtig, die das Haus aufgrund der Ängste, aber auch aufgrund eines geschwächten Immunsystems nicht verlassen können oder für Kolleg*innen, die der Risikogruppe angehören.

Werfen wir einen Blick in die Zukunft: Was schätzen Sie, wie sich die Psychotherapie weiterentwickelt?

Ich glaube, dass wir zusätzlich viel auf digitale Angebote zurückgreifen werden. Es ist zudem leider so, dass wir aktuell nicht alle potentiellen Patient*innen versorgen können. Wir haben in Deutschland durchaus genug Psychotherapeut*innen, aber nicht genug Kassensitze. Das ist ein berufspolitisches Thema und sicherlich auch eine Kostenfrage für das Kassensystem.  Es ist für mich weiter selbstverständlich, dass wir den direkten Kontakt für Psychotherapie und die Beziehung brauchen. Viele Patienten bringen Bindungsthemen oder Kränkungserfahrungen mit und brauchen eine korrigierende Erfahrung im Kontakt mit ihrem Therapeuten, das wird durch Digitalisierung nicht zu ersetzen sein. Zudem bekomme ich im direkten Kontakt die nonverbalen Signale und Emotionen viel besser mit und dann erlebe ich Patient*innen wirklich authentisch.

Smart City bedeutet ja eine kluge, eine intelligente, aber auch eine gesunde Stadt. Wie schätzen Sie die Soester Situation ein?

Soest an sich hat natürlich sehr viel Schönes zu bieten – Soest bietet Grünflächen, die Maßnahmen am Wall für mehr Bewegung sind eine tolle Idee. Sport und Bewegung hat an sich bereits eine antidepressive Wirkung, daher freue ich mich über die neu gestaltete Wallanlage und die geplanten Veränderungen.  Mich beschäftigt dennoch grundlegend die Frage, ob die Soesterinnen und Soester, die in Not sind und psychotherapeutische Hilfe benötigen, die Hilfsangebote bei psychischer Belastung kennen und ob sie ausreichend schnell die Informationen bekommen, die sie benötigen? Man muss sich inhaltlich wirklich auskennen, damit man die richtige Unterstützung findet. Und wenn Menschen in Not sind, wissen sie ja häufig nicht, welche Hilfe sie genau benötigen. In Soest gibt es z. B. den Sozialpsychiatrischen Dienst des Kreises Soest und den finden sie auch im Internet, dennoch könnte die Stadt die Informationen weiter ausbauen und verlinken. Es gibt akute, stationäre und ambulante Möglichkeiten bei psychischer Belastung, um zu helfen.

Was kann Soest denn tun, um gesund zu bleiben oder gesünder zu werden?

Die Stadt Soest könnte versuchen, unter einer Rubrik Gesundheit und digitale Medien seinen Bürger*innen mehr hilfreiche Informationen zu Anlaufstellen und Gesundheitsthemen zu bieten. Unter dem Oberthema Psychotherapie könnten häufige Fragen der Soester Bürger*innen dem Einzelnen näher erläutert werden, z. B. Wie komme ich an einen Therapieplatz? Was ist ein ärztlicher Psychotherapeut, was ist ein Psychiater, was ist ein psychologischer Psychotherapeut? Man könnte viel mehr hilfreiche Seiten verlinken und mit Hilfe der ansässigen Fachleute die Möglichkeiten erklären. Es wäre einfach hilfreich, wenn die Stadt Soest für die Gesundheit eine unterstützende Haltung zeigt: „Ich stelle meinen Bürger*innen dieses Wissen zur Verfügung“. Oder man könnte, um die Bevölkerung über Gesundheitsthemen besser zu informieren und diese auch auf moderne Weise zu erreichen, Podcasts zu Gesundheitsthemen erstellen. Es gibt so viele Fachleute in Soest, die man ansprechen könnte. Man könnte einen (digitalen) Gesundheitstag organisieren mit Vorträgen von Fachleuten oder Fragen der Soester themenspezifisch sammeln und von Soester Fachleuten online beantworten lassen. Gute Vernetzung ist so wichtig. Da kann unsere Stadt wie auch mit dem StadtLABOR Vorreiter sein und sagen „Wir gehen voran“ – z. B. auch bei der Gesundheitsvorsorge der eigenen Mitarbeiter*innen in einem Pilotprojekt der Stadt Soest. Zum Beispiel über Achtsamkeitskurse und zeitgleich anonymer Erhebung der Gesundheit der Mitarbeiter*innen.

Und mich persönlich würden schon interessieren, wie gesund Soest ist.

Ja, wie gesund ist Soest denn?

Es gibt statistische Zahlen dazu, wie häufig z. B. Depressionen in Deutschland vorkommen. Man müsste für Soest die Daten allerdings erst separat erheben – da könnte man zum Beispiel eine digitale Umfrage machen, um genau diese Frage zu beantworten. Eine Hochschule könnte dabei als Kooperationspartner fungieren.

Werfen wir nochmal einen Blick in die Zukunft. Wie gesund ist Soest in 20 Jahren?

Ich bin und war schon immer eine Optimistin und sage: sehr gesund. Soest ist ja bereits eine sehr aktive Stadt, eine lebenswerte dazu, daher ziehen auch viele Auswärtige gerne nach Soest. Ich hoffe, Soest behält die Gemütlichkeit und seinen mittelalterlichen Charakter bei, die besondere Lebensfreude zur Kirmeszeit. Ich kann mir tatsächlich gut vorstellen, dass sich Soest in 20 Jahren so weiterentwickelt hat, dass viele Bürgerleistungen schnell und digital erledigt werden können.

Und ich hoffe sehr, dass auch im Arbeitskontext und bei den örtlichen Arbeitgebern bis dahin die Erfahrung angekommen ist, dass immer mehr Druck auszuüben die Mitarbeiter*innen demotiviert oder sogar schwer erkranken lässt. Ich wünsche mir, dass viele Unternehmen erkennen, dass kurzfristig in Wertschätzung und die Gesundheit der Mitarbeiter*innen zu investieren langfristig dazu führt, dass die Menschen aus Eigenmotivation heraus Lust und Kraft haben, was für das eigene Unternehmen zu tun. Ich hoffe auf zukünftig gesunde Führungsstile in Unternehmen, denn „in die Gesundheit von sich und anderen zu investieren lohnt sich“.

Im Allgemeinen bringt Digitalisierung hoffentlich Erleichterung und mehr Zeit. In Wien (für mich meine zweite Heimat nach Soest und eine besonders lebenswerte Stadt mit Vorreiterfunktion im Bereich digitale Stadt) haben die Wiener*innen beispielsweise nur eine Identifikationsnummer als Bürger*innen, die sie für Bürgerleistungen genauso nutzen können wie auch beim Arzt und der Krankenkasse. Das erleichtert Abläufe sehr und spart viel Zeit. Und ich hoffe, dass wir die gewonnene Zeit dann nicht mehr so häufig mit digitalen Medien verbringen, sondern im direkten Kontakt mit Freunden, Familie und Kolleg*innen nutzen. Und dass wir dann in den schönen Soester Cafés gemeinsam chillen oder die Zeit in den schön gestalteten Flächen in und um Soest genießen.

Mit Simone Folke sprachen Judith Sümmermann (Smart City Projekt soesmart) und Kerstin Großbröhmer (Digitale Modellregionen). 

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Das StadtLABOR macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.